Der Stieglitz - Vogel des Jahres 2016

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogelschutz (LBV), haben den Stieglitz zum „Vogel des Jahres 2016“ gewählt. Der Stieglitz Carduelis carduelis, auch Distelfink genannt, ist einer der schönsten Vögel unserer Heimat. Besonders auffällig ist die rote Gesichtsmaske, die sich vom schwarz-weiß gezeichneten Kopf abhebt, sowie die gelben Federn an den Flügeln. Mit seinem auffällig bunten Gefieder erfreut er Naturliebhaber und zieht Blicke und Kameras immer wieder auf sich. Mit seiner Wahl zum Vogel des Jahres 2016 wollen NABU und LBV den fortschreitenden Strukturverlust in unserer Kulturlandschaft ins Blickfeld rücken: Der Stieglitz ist dabei Botschafter für mehr Artenvielfalt und Farbe in Agrarräumen und Siedlungsbereichen.

Stieglitz

      Foto: NABU / Frank Derer

Die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft und die Bebauung von Brachflächen rauben dem Stieglitz zusehends die Nahrungs- und Lebensgrundlagen. Diese findet er an Acker- und Wegrainen, auf Brachen oder in Parks und Gärten. Der Stieglitz kommt nicht nur herrlich bunt daher, er liebt auch die bunten und artenreichen Landschaften, wie sie in früheren Jahrhunderten gerade durch die Landwirtschaft geprägt waren – bevor man mit intensiver Landwirtschaft begann die zuvor gestaltete vielfältige und artenreiche Kulturlandschaft zu zerstören. Der Bestand des Stieglitzes hat in Deutschland laut den Daten des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten von 1990 bis 2013 um 48 Prozent abgenommen. Offizielle Schätzungen gehen derzeit von 305.000 bis 520.000 Brutpaaren in Deutschland aus. Ursprünglich in lichten Wäldern und Waldrändern zuhause, lebt unser Jahresvogel heute sowohl in ländlichen als auch städtischen Gebieten. Knapp 60 Prozent des bundesweiten Bestandes leben im Siedlungsraum, die restlichen 40 Prozent in der Agrarlandschaft.

 

Im Kreis Siegen-Wittgenstein ist der Stieglitz verbreitet, jedoch nicht häufig.

 

Der Stieglitz ist sowohl Mitglied als auch Namensgeber der Gattung Carduelis, zu Deutsch „die Stieglitzartigen“. Zu ihr gehören weltweit 33 Arten, acht davon leben auch in Deutschland. Unter der heimischen Verwandtschaft sind Zeisige, Hänflinge und Grünfinken am häufigsten. Wie alle Vertreter der Gattung Carduelis haben auch Stieglitze eine schlanke Gestalt mit einem vergleichsweise kurzen Hals und dünnen Beinen. Sie erreichen eine Körperlänge von 12 bis 13 Zentimetern und sind damit etwas kleiner als Spatzen. Mit einem Gewicht zwischen 14 und 19 Gramm wiegen sie ungefähr so viel wie zwei Ein-Euro-Stücke. Die bunten Finken können bis zu 12 Jahre alt werden, das Durchschnittsalter freilebender Tiere liegt jedoch wesentlich niedriger.

 

Rücken und Brust sind hellbraun, Bauch und Bürzel weiß gefärbt. Die überwiegend schwarzen Flügel weisen eine deutlich abgesetzte breite, leuchtend gelbe Binde auf. Der schwarz gefärbte Schwanz zeigt an den äußeren zwei bis drei Steuerfedern weiße Abschnitte. Der Schnabel ist, wie bei Körnerfressern üblich, kegelförmig, läuft spitz zu und ist elfenbeinfarbig bis graurosa. Männchen und Weibchen ähneln sich äußerlich zwar stark, lassen sich aber gut an

der Ausprägung der roten Gesichtsmaske unterscheiden: Beim Männchen fasst sie

den hinteren Rand des Auges beidseitig ein oder ragt darüber hinaus. Die etwas kleinere Maske des Weibchens reicht nicht bis zum Augenrand. Jungvögel sind braun und weniger kontrastreich, ihnen fehlt zudem noch die auffällige rote Gesichtsmaske.

Stieglitz sitzend auf altem Fruchstand mit Schnee

    Foto: NABU / Andreas Hartl

Auffällig ist auch das laute Zwitschern. Diesem „Stiglit“ verdankt der Stieglitz seinen

deutschen Namen. Kontakt- oder Warnrufe der bunten Vögel sind das ganze Jahr über

zu hören. Besonders im Herbst und Winter kommunizieren Schwärme auf diese Weise

miteinander. Der Gesang dient hingegen der Partnerwerbung sowie der Reviermarkierung und festigt die Bindung eines Paares. 

 

Stieglitze erreichen die Geschlechtsreife zum Ende des ersten Lebensjahres und

führen eine monogame Saisonehe mit durchschnittlich zwei Jahresbruten. Stieglitze

bevorzugen Nistplätze hoch oben in der Baumkrone. Ist ein geeigneter Ort gefunden,

fängt das Weibchen mit dem Nestbau an. Das kleine napfförmige Nest wird in nur

vier bis sechs Tagen in Astgabeln oder auf Astenden gebaut. Das neue Stieglitzheim

besteht aus feinen Stängeln, Halmen, kleinen Wurzeln, grünem Moos sowie anderen Pflanzenfasern und ist innen gut ausgepolstert. Das Weibchen legt etwa fünf weiße, leicht rotbraun gesprenkelte Eier. Das Weibchen brütet allein nach der Ablage des dritten Eis für 12 bis 14 Tage und wird während dieser Zeit vom Männchen versorgt.

 

Der Vogel ernährt sich vornehmlich von den Samen verschiedener Blütenpflanzen,

Gräser und Bäume. Auf der Suche nach Sämereien und Insekten zeigen die kleinen

Vögel akrobatischen Einsatz: Sie beugen sich weit vor und können sogar kopfüber

hängend picken. Mit ihrem langen, spitzen Schnabel finden sie auch noch so verborgene Samenstände. Im Unterschied zu den meisten anderen heimischen Singvögeln leben Stieglitze ganzjährig in Gruppen - auch zur Brutzeit - und gehen gemeinsam auf Nahrungssuche. Im Winter schließen sich mehrere Gruppen zu größeren Schwärmen zusammen und mischen sich häufig mit Bluthänflingen, Girlitzen und Grünlingen. 

 

Bunte Landschaften mit ausreichend Nahrung gibt es immer weniger, daher ist der

Bestand des Stieglitzes in Deutschland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. „Allein in der Agrarlandschaft sind seit 1994 fast 90 Prozent aller Brachflächen mit ihrer heimischen Artenvielfalt verloren gegangen. Auch Randstreifen mit Blumen und Wildkräutern an Feldern und Wegen werden immer weniger und artenärmer. Im Siedlungsraum verschwinden wildblumenreiche Brachflächen, öffentliches und privates Grün wird zu intensiv gepflegt, Wildkrautvielfalt gar weggespritzt. Für unseren Jahresvogel wird es in Deutschland inzwischen eng“,

sagte NABU-Vizepräsident Helmut Opitz.

 

Es gibt jedoch viele Möglichkeiten, den Lebensraum des farbenfrohen Finken zu erhalten. Schon kleine wilde Ecken in Gärten, an Sport- und Spielplätzen, Schulen, Ackerflächen oder Straßenrändern tragen dazu bei. Auch private Gärtner können sich für den Erhalt von Lebensräumen des Stieglitzes einsetzen. Das Anlegen von Blühflächen mit heimischen Wildkräutern sowie Obstbäumen und der Verzicht auf Pestizide helfen dem zierlichen Finken.

 

Auf Gemeindeebene werden dringend Konzepte benötigt, die die Bereitstellung

und den Erhalt von strukturreichen Straßenbegleitflächen sowie von Ruderalflächen mit

samentragenden Pflanzen bei der Bau- und Städteplanung berücksichtigen. Überregional kann nach Ansicht des NABU nur eine Reform der bestehenden EU-Agrarrichtlinien und Förderinstrumente dazu beitragen, die fortschreitende Flurbereinigung in der Agrarlandschaft zu stoppen und bestehende Strukturen wie Acker- und Grabensäume, Hecken, Feldgehölze, Kleingewässer, Bachfläche oder unbefestigte Feldwege zu erhalten sowie neue zu schaffen. Daneben ist

es zwingend erforderlich, extensive Bewirtschaftungsformen zu fördern und Flächenstilllegungen zumindest temporär durchzusetzen.

Naturschutzgebiete mit reichlich Blüten- und Samenpflanzen können ebenso

wie die Schutzgebiete im Eigentum von NABU und LBV Überlebensräume für den

Stieglitz sein.

 

Monika Münker

ergänzt von: Eva Lisges

2016